Aktuelle Entwicklungen des Rückversicherungsmarkts

Auch Versicherer müssen sich versichern. Rückversicherungen übernehmen einen Teil des ­Risikos der Erstversicherer in ihre Bücher und verlangen dafür eine Prämie, ähnlich wie jedes Unternehmen sie für seine Versicherungen zahlt. Der Preis, den die Rückversicherer aufrufen, wirkt sich so auf den Preis aus, den der Erstversicherungskunde zahlen muss. Wie entwickelt sich der Rückversicherungsmarkt? Die entsprechenden Informationen werden alljährlich im ­Oktober beim Branchentreffen in Baden-Baden ausgetauscht. Gert Wellhöfer, Geschäftsführer des Rückversicherungsmaklers Ecclesia Re aus unserer Unternehmensgruppe, erläutert in diesem Hintergrundtext die Situation.

Baden-Baden hat gezeigt, dass wir uns in einem äußerst schwierigen Umfeld befinden, in dem die steigende Nachfrage nach Rückversicherungen auf ein schrumpfendes Angebot trifft. Die Inflation war eines der bestimmenden Themen beim Rückversicherertreffen im bekannten Kurort. Sie hat einen historischen Höchststand erreicht. Außerdem schlägt sich die hohe Frequenz an schweren Naturkatastrophen in den vergangenen zwei Jahren in den Büchern der Rückversicherer nieder. Zu denken ist dabei an das Starkregentief „Bernd“, den Hurrikan „Ian“, die schweren Überschwemmungen in Australien und die Hagelschäden in Frankreich. Daher ist eine Neugewichtung der Beziehungen zwischen der Versicherungs- und der Rückversicherungsbranche zu erwarten. Es ist längst nicht sicher, ob jahrelang im Miteinander von Erst- und Rückversicherungsmarkt gepflegte Selbstverständlichkeiten in der Risikoübernahme à la „equal terms“ – also gleiche Bedingungen wie im Vorjahr – die aktuelle Erneuerungsphase überstehen werden. 

Die Struktur der Rückversicherungsdeckungen muss sich mit der Inflation weiterentwickeln. Die Selbstbehalte der Erstversicherer werden steigen müssen, um sicherzustellen, dass der Anstieg der Risiken und korrespondierenden Schäden nachhaltig zwischen Rückversicherern und Erstversicherern geteilt wird. Die Rückversicherer betonen, dass sie als zuverlässiger und beständiger Partner zum Dialog bereit sind, aber zu ihren Bedingungen. Einige Rückversicherer haben sich in dieser Hinsicht auch schon entsprechend positioniert und klargestellt, dass erstens die Struktur überprüft werden muss, zweitens Wordingfragen zu klären sind, zum Beispiel im Hinblick auf die Definition, welche Ereignisse tatsächlich von der Rückversicherung gedeckt sind, und dann drittens über den Preis gesprochen wird. Andere wiederum waren noch zu keiner Aussage in der Lage, weil die Pläne für 2023 noch nicht final verabschiedet waren. Bedenkt man, dass die Konferenz Ende Oktober, neun Wochen vor dem Erneuerungszeitpunkt, stattgefunden hat, ist auch das eine Aussage zur schwierigen Lage auf dem Markt. Einige wollten sich vielleicht nicht in die Karten schauen lassen, in anderen Fällen war dieses Verhalten aber der Tatsache geschuldet, dass die große Unsicherheit der Retro-Deckungen zu diesem Zeitpunkt keine verlässliche Aussage zur Erneuerungspositionierung zuließ. 

Im sogenannten Retro-Markt decken sich wiederum viele Rückversicherer selbst mit Rückversicherung oder anderweitigen Finanzvehikeln (beispielsweise Versicherungsverbriefungen oder parametrische Deckungen) zur Risikoabsicherung ein. Die Preise dort beeinflussen somit auch die Preise der Rückversicherung, die wiederum die Erstversicherungspreise beeinflussen.

Lediglich ein Rückversicherer hat sich zum Thema Preise geäußert. Dabei ging es um die Kfz-Versicherung. Seiner Auffassung nach müssten die Prämien in diesem Segment um rund zehn Prozent steigen. Andere Marktbeobachter sehen einen Anpassungsbedarf von bis zu 14 Prozent. Zuletzt hat auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemahnt, die Versicherer müssten ihr Geschäft „sturmfest“ machen. Es benötige ausreichende Puffer bei Kapital und Liquidität. Das werde im nächsten Jahr zwingend höhere Beiträge nach sich ziehen, ließ BaFin-Direktor Dr. Frank Grund anlässlich der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht verlauten, die nur wenige Tage nach der Baden-Badener Runde stattfand. 

Die aktuelle Situation ist geprägt von Inflation und immensen Schäden durch Naturkatastrophen. Aber wo liegen die Probleme der Rückversicherer nun genau? Nicht selten bei der Profitabilität. Die Margen waren in den vergangenen zehn Jahren relativ gering, das Geschäft sehr volatil. Außerdem steht 2023 aller Voraussicht nach nicht annähernd die gleiche Kapazität bei den Rückversicherern zur Verfügung wie bisher. Investoren wie zum Beispiel die großen Pensionsfonds wandern aufgrund des Zinsumfeldes in andere Investitionsbereiche ab. So ist zu erwarten, dass die benötigte Mehrkapazität von Rückversicherungsdeckung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in Deutschland nicht adäquat eingekauft werden kann. Die Zedenten, also die Erstversicherer, werden mehr ins Risiko gehen müssen. Das kann wiederum höhere Preise auf dem Erstversicherungsmarkt zur Folge haben. Der Rückversicherungsmarkt sucht dringend nach Möglichkeiten, seine Bilanzen nicht nur geografisch, sondern insbesondere in den Sparten (Lines of Business) weiter zu diversifizieren. Specialty Lines – ein sehr weiter Begriff, der vor allem die Deckung von Naturkatastrophen ausschließt – werden gesucht. 

Die Aufgabe für Rückversicherungsmakler ist es nun, ausgleichend zu wirken und Lösungen zu finden, die die Prämienanpassungen abfedern – auch um die Folgen für den Erstversicherungsmarkt abzumildern. Um die weitere Prognose zu festigen, werden die Quartalszahlen der Rückversicherer in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2023 von entscheidender Bedeutung sein. Dann dürfte sich zeigen, wie sich die Effekte durch Inflation und Zinsen tatsächlich niedergeschlagen haben. Die große Kluft zwischen einer zweistelligen Inflationsgröße und zu realisierenden Zinsen im Bereich zwischen drei und fünf Prozent spricht dafür, dass sich die Solvency Capital Ratios (SCR), also die Kennzahlen für die Solvenz der Unternehmen, kurz- bis mittelfristig verkleinern werden. Sollten weitere sogenannte Capital Events vorkommen – das sind Ereignisse, die wie „Bernd“ die Rückversicherungsdeckungen signifikant auslösen und zu einem erheblichen Nettoschaden in der Bilanz der Rückversicherer führen – kann der SCR in kritische Bereiche kommen. Die Preisspirale dürfte sich dann weiterdrehen.


Gert Wellhöfer