Ein Jahr später – unveränderte Situation
Der Krieg in der Ukraine führt unverändert – neben den persönlichen Schicksalen – mit Lieferausfällen, Sanktionswirkungen, Anhebungen der Energiepreise etc. zu deutlichen Störungen der Weltwirtschaft. Die Auswirkungen werden nach Beendigung der Kämpfe sicherlich noch über Jahre spürbar sein. Zahlreiche Versicherer haben im letzten Jahr zügig – fast reflexartig – reagiert, und den Versicherungsschutz für Russland, Belarus und die Ukraine ausgeschlossen beziehungsweise nach Ablauf der jeweiligen Verträge entsprechende Vereinbarungen als Voraussetzung für die Verlängerung des sonstigen Versicherungsschutzes formuliert.
Ob diese zusätzlichen Ausschlüsse erforderlich sind, ist sicherlich diskutabel. Im Hinblick auf Russland und Belarus greifen umfangreiche Sanktionsregelungen, welche den Versicherungsschutz in diesen Ländern ohnehin nur noch für bestimmte Tätigkeiten erlauben. Und in der Ukraine sind die wesentlichen durch den Krieg verursachten Schäden durch den in allen Versicherungsverträgen enthaltenen Kriegsausschluss im Regelfall ebenfalls nicht versichert.
Was bewegt die Versicherer, dennoch einen Territorialausschluss auch für die Ukraine zu vereinbaren?
Einerseits erfolgen diese Reaktionen sehr häufig auf Druck und entsprechenden Vereinbarungen mit den Rückversicherern. Andererseits ergeben sich aus der Unsicherheit ganz praktische Erwägungen:
- Eine Schadenregulierung vor Ort ist kaum möglich.
- Die Wiederherstellungskosten und vor allem die Instandsetzungszeiten sind nicht kalkulierbar.
- Die wirtschaftliche Entwicklung ist – im Hinblick auf Ertragsausfallschäden – nicht abschätzbar.
Aus dieser Situation heraus möchten die Versicherer Klarheit schaffen – auch unter dem Aspekt „Beweislast“. Denn das Vorliegen der Kriterien für den Kriegsausschluss ist im jeweiligen Schadenfall vom Versicherer zu beweisen. Der Geltungsbereich des Versicherungsschutzes ist insofern nicht mit diesem Beweisbarkeitsproblem behaftet.
Unabhängig von den generellen Bestrebungen zu den Länderausschlüssen gibt es individuelle Lösungsansätze: Risiken in Russland und Belarus werden ausschließlich über den russischen Versicherungsmarkt abzusichern sein. Ob die Versicherer von internationalen Sachversicherungsprogrammen eine Differenzdeckung im Rahmen der Financial Interest Clause (FInC) akzeptieren, ist vom Einzelfall und jeweiligen Versicherer abhängig.
Für Risiken in der Ukraine kann in Einzelfällen Versicherungsschutz im Rahmen der internationalen Versicherungsprogramme geboten werden – allerdings sind diese Möglichkeiten limitiert und es werden, wenn überhaupt, nur ganz geringe Deckungs- bzw. Versicherungssummen angeboten.
Thomas Hergarten