Digitalexperte Sascha Lobo im Interview
Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und eröffnet auch unseren Kunden aus der Gesundheits- und Sozialwirtschaft ganz neue Möglichkeiten. Digitalunternehmer und KI-Experte Sascha Lobo war bereits als Keynote-Speaker beim diesjährigen Zukunftskongress „Sozialwirtschaft managen“ in Essen zu Gast. Dieser wurde im Juni gemeinsam vom Evangelischen Johanneswerk, Curacon und der Ecclesia Gruppe veranstaltet. Nachdem Sascha Lobo dort in seinem Impulsvortrag die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von KI beleuchtete, erläutert er jetzt im Interview, wo Potenziale gehoben werden können und wie die Akteure der Gesundheits- und Sozialwirtschaft dabei vorgehen sollten.
In welchen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens bietet Künstliche Intelligenz (KI) Potenziale?
In fast allen, denn KI ist unter anderem ein Effizienz-Instrument für Arbeitsprozesse aller Art und auch ein Wissensinstrument, mit dem völlig neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Das reicht von neuen Diagnostikverfahren wie etwa Krankheitserkennung anhand der Stimme oder durch Wärmebilder des Körpers über die Unterstützung der Pflege durch KI-Assistenten, mit denen ein echter Dialog möglich ist, bis hin zum Büroalltag, der mithilfe von KI schneller und besser bewältigbar wird. Ein bisschen kann man sich Künstliche Intelligenz vorstellen wie Elektrizität, sie ist irgendwann überall und macht Dinge möglich, die zuvor kaum vorstellbar waren.
Wo bekommen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens bei der Umsetzung von Digitalisierung möglicherweise Probleme und was sollten sie berücksichtigen?
Leider ist der AI Act der EU, die KI-Verordnung, ein echtes Hindernis, insbesondere im Verbund mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Dadurch fehlt vielen Institutionen der Mut, mit KI-Projekten auszuprobieren, was alles geht. Es wäre allerdings notwendig, jetzt eine Ausprobierkultur zu entwickeln. Berücksichtigen sollte man, dass KI vor allem eine Bildungsfrage ist und noch stärker wird, und zwar insbesondere, was berufliche Fort- und Weiterbildung angeht.
Sie haben auf dem Zukunftskongress „Sozialwirtschaft managen“ den Appell an die Zuschauer gerichtet: Packen Sie es an! Wie sollten die Beteiligten vorgehen?
Zunächst geht es darum, Wissen über KI zu sammeln und zu strukturieren, gerade für die eigene Branche. Mit einem gewissen Grundstock kann man dann gut auf die Suche nach Partnern gehen, ob Berater, Agenturen, Mitarbeitende, Freiberufler, Kooperationspartner oder sogar Konkurrenten. Das hängt sehr vom Bereich und dem Ziel ab. Und dann sollte man ganz genau überlegen, wie und wo man ein konkretes, nicht zu großes Projekt auf den Weg bringen kann. Das kann zum Beispiel die Beschleunigung, Verbesserung oder Automatisierung von wiederkehrenden Arbeitsprozessen im Büro sein. Im Verlauf des ersten Testprojektes wird man sehr viel darüber lernen, wie die eigene Organisation sich mit KI so anstellt. Darauf kann man erfolgreich aufbauen oder entnervt aufgeben; meistens ist es irgendetwas dazwischen.
Da die Sozialwirtschaft und der Gesundheitssektor generell nicht über die finanziellen Ressourcen und das Know-how zur Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben verfügen, stellt sich die Frage, ob sich hier nicht die großen Tec-Konzerne solidarisch zeigen sollten. Was denken Sie darüber?
Solidarität ist aus meiner Sicht etwas, das zwischen Menschen stattfindet und in Unternehmenskontexten oft eher schwierig ist. Natürlich gibt es total freundliche, liebevolle, großartige Konzerne, keine Frage – aber das kann für die Sozialwirtschaft und den Gesundheitssektor nicht die Basis einer KI-Strategie sein. Dazu kommt, dass KI-Anwendung nicht mehr so teuer ist wie noch vor einiger Zeit und dass eine Reihe von Leistungen immer günstiger werden oder als Open-Source-Varianten verfügbar sind. Oft lässt sich Geld durch Know-how zum Teil ersetzen. Es ist also auch hier eine Frage der Bildung und der Mitarbeitenden. Daran kommt man nicht vorbei, und das ist aus meiner Sicht auch kein legitimes Argument: Wir haben keine Ahnung! Das Internet funktioniert hervorragend, um Wissen in Organisationen hineinzubringen, wenn man das wirklich möchte und es ausreichend hoch priorisiert. Insofern würde ich sagen: Es geht sehr viel heute schon mit vergleichsweise geringen Ressourcen, niemand in der Sozialwirtschaft muss ChatGPT nachbauen.
Sascha Lobo: Jahrgang 1975, arbeitet als Autor, Podcaster, Vortragsredner und Digitalunternehmer. Eine wöchentliche Kolumne schreibt er auf spiegel.de und veröffentlicht Bücher zum Zeitgeschehen. Der dreifache Familienvater diskutiert auch regelmäßig in Talkshows. Mit seiner Frau Jule Lobo moderiert er den Podcast „Feel the News – Was Deutschland bewegt“.