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Verbesserter Verbraucherschutz: Die EU-Produkthaftungsrichtlinie

Die aktuell gültige Produkthaftungsrichtlinie wurde vor etwa 40 Jahren verabschiedet. Mittlerweile haben die EU-Gremien erkannt: Sie ist mehr als überarbeitungsbedürftig. Im Dezember 2022 wurde hierzu ein erster Vorschlag gemacht, der vom Europäischen Rat Mitte 2023 mit einigen Änderungen versehen wurde. Zwar wird die Umsetzung sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da der Entwurf aktuell im Europäischen Parlament intensiv diskutiert wird. Allerdings konkretisieren sich die bedeutenden Eckdaten zunehmend, sodass die wesentlichen Inhalte erwartungsgemäß implementiert werden dürften.

Welche Verbesserungen für Verbraucher versprechen sich die EU-Gremien?

Die Ziele, die die Verantwortlichen verfolgen, sind drei: Einerseits gilt es, einheitliche Regeln für die Mitgliedstaaten festzulegen. Weiterhin verbessert die Erneuerung der Richtlinie das reibungslose Funktionieren der Digital- und Kreislaufwirtschaft. Hinzu kommt, dass dem Verbraucher bei fehlerhaften Produkten zu einer gerechteren Entschädigung verholfen werden soll. 

Die Revision der Produkthaftungsrichtlinie war zudem dringend notwendig, weil die fortschreitende Entwicklung neuer Technologien, insbesondere im Bereich der Informationstechnologie (IT) und der künstlichen Intelligenz (KI) eine Anpassung erforderlich machen. Denn diese Entwicklungen waren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der aktuellen Richtlinie im Jahr 1985 in diesem Umfang und der Komplexität nicht vorauszusehen.


Die Kerninhalte der Überarbeitung 

Die wesentlichen Eckpunkte des ursprünglichen Vorschlags lauten wie folgt: 

  • Weiterhin verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers eines fehlerhaften Produkts, wenn einer Person ein Schaden für Leben oder körperliche Unversehrtheit entsteht
  • Präzisierung der Begriffsbestimmung für das „Produkt“: Klarstellung bezüglich Software, einschließlich Firmware und KI-Systemen
  • Sicherheitsbezogene Cybersecurity-Anforderungen werden erstmals als Fehler eingeordnet
  • Die bisher geltenden Selbstbehalte (500 Euro für Sachschäden) und Haftungshöchstgrenzen (85 Mio. Euro bei Personenschäden) entfallen
  • Das Inverkehrbringen wird künftig nicht mehr der allein maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Produkthaftung sein
  • Die Herstellerhaftung kann künftig auch greifen, wenn der Hersteller die Möglichkeit hat, sein Produkt nach dem Inverkehrbringen weiter zu kontrollieren (zum Beispiel durch entsprechende Sicherheits- und Softwareupdates)
  • Beweiserleichterungen für die Fehlerhaftigkeit des Produkts und für die Kausalität zwischen Fehler und Schaden und Herausgabe von Beweismitteln
  • Auch der Fulfillment-Dienstleister sowie Bevollmächtigte des Herstellers (neben Hersteller, Quasi-Hersteller und Importeur) können künftig haften.
     

Welche Folgen hat der Entwurf für Unternehmen?

Insbesondere die geplanten Beweiserleichterungen können für Unternehmen sehr nachteilige Auswirkungen haben. Das Gericht könnte die Unternehmen künftig verpflichten, in ihrem Besitz befindliche Beweismittel vorzulegen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Geschädigte Einblick in Konstruktionsunterlagen oder Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung erhalten können. Diese Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln kann die Balance zu Lasten der Unternehmen verschieben, da diese Produkthaftung kein Verschulden erfordert. 

Allerdings soll die Verpflichtung zur Offenlegung auf ein erforderliches und verhältnismäßiges Maß zur Stützung eines Anspruchs begrenzt werden. Unternehmen sollen demnach also nur bei gut begründetem Verdacht zur Gewährung von Unterlageneinsicht verpflichtet werden. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, soll es auch ein Rechtsmittel gegen die Anordnung der Beweismitteloffenlegung geben. Kommt ein Beklagter der Offenlegungspflicht jedoch nicht nach, soll aber (widerleglich) ein Sorgfaltspflichtenverstoß vermutet werden.

Der Entwurf sieht außerdem vor, dass sowohl die Fehlerhaftigkeit von Produkten als auch die Kausalität zwischen Produktfehler und Schaden angenommen werden kann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Einerseits muss die Beweisführung für den klagenden Verbraucher „aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig“ sein, andererseits muss der Kläger auf „Grundlage hinreichender Beweise nachgewiesen“ haben, dass: 

  1. das Produkt zum Schaden beigetragen hat,
  2. das Produkt wahrscheinlich fehlerhaft war,
  3. und der Fehler wahrscheinlich den Schaden verursacht hat.

Allein aufgrund des Gebrauchs von unbestimmten Begriffen wie „übermäßig schwierig“ oder „hinreichender Beweise“ ergibt sich für den Hersteller eine große Unsicherheit bezüglich einer möglichen Inanspruchnahme.  
 

KI: Die neue, rechtliche Herausforderung

Neben dem Entwurf zur Änderung der Produkthaftungsrichtlinie werden noch weitere EU-Initiativen im Rahmen einer „digitalen Strategie“ angefasst, die sich detaillierter mit den Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz (KI) befassen.

Die EU hat weiterhin einen Entwurf für eine KI-Haftungsrichtlinie erstellt, der am 28. September 2022 von der Europäischen Kommission angenommen und somit in das weitere Verfahren überführt wurde. Wesentliche Inhalte dieses Entwurfs sind: 

  • Die Regelungen betreffen nur die verschuldensabhängige Haftung, gelten aber für alle Betroffenen, also Privatpersonen und Unternehmen.
  • Der Zugang zu Beweismitteln bei Hochrisiko-KI-Systemen kann per richterlicher Anordnung erfolgen.
  • Es besteht eine Kausalitätsvermutung zwischen Pflichtverletzung und Schaden für jede Art von KI-Systemen.


Ein weiterer Baustein auf EU-Ebene zu einer Regulierung der KI ist die Entscheidung des Europäischen Parlaments für eine Verordnung zur Regelung der zivilrechtlichen Haftung beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Hierbei wird zwischen Frontend- und Backend-Betreibern als Haftungssubjekte unterschieden, bei den KI-Systemen zwischen solchen mit „hohem Risiko“ und „anderen KI-Systemen“. Der Vorschlag enthält zudem Regelungen zu Haftungshöchstgrenzen, Verjährung und Versicherung. 

Schließlich steht auch noch der „Vorschlag der Europäischen Kommission zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz“ vom 21. April 2021 im Raum, welcher in ein „Gesetz über künstliche Intelligenz“ münden soll. 

Zielsetzung dieser Initiative ist die Setzung eines Rechtsrahmens zur Gewährleistung der Sicherheit von KI-Systemen und zur Wahrung von Grundrechten und Werten in der EU. Hiermit sollen insbesondere „Hochrisiko KI-Systeme“ beschrieben und klassifiziert sowie den Anbietern, Herstellern und Nutzern derartiger Systeme ein Rechtsrahmen gesetzt werden. In diesem Entwurf sind auch Geldbußen enthalten, die bis zu sechs Prozent des gesamten weitweiten Jahresumsatzes betragen können.
 

Die EU-Verbandsklagerichtlinie

Neben den diversen Initiativen zur konkreten Regelung der Haftung, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz, muss auch die Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie genannt werden, welche in Deutschland erfolgt ist durch das Inkrafttreten des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDuG) an 13. Oktober 2023. Die Einführung der darin geregelten (neuen) Abhilfeklage erleichtert die Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen vieler Verbraucher. 


Risiko für Unternehmen steigt

Tendenziell sorgen die eingeleiteten Initiativen beim Inverkehrbringen von Produkten für eine signifikante Verschärfung der Haftung. Der Verbraucherschutz wird gestärkt.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der Unternehmen sind Ansprüche nach dem Produkthaftungsrecht, besonders bei gefahrgeneigten Produkten, ein andauerndes, hohes und zum Teil existenzbedrohendes Risiko für Unternehmen. Dieses Risiko wird künftig eher größer.
 

Die deas bietet Lösungen zur Risikoabsicherung

Umso wichtiger ist es, bereits bei der Vertragsgestaltung solche Risiken bestmöglich abzusichern oder zu vermeiden. Neben der möglichst umfassenden Überwachung der Produktion und der verkauften Produkte sowie der sorgfältigen Dokumentierung der Überwachungsmaßnahmen ist es wichtig, bereits bei der Vertragsgestaltung derartige Risiken so weit wie möglich auszuschließen und sich hinreichend zu versichern. Hierzu gehört auch die regelmäßige Prüfung, ob die Deckungssumme und der Gegenstand der Produkt- oder Betriebshaftpflichtversicherung dem bestehenden Haftungsrisiko noch gerecht werden. 

Im Schadenfall sollte schnellstmöglich die Versicherung durch den betreuenden Versicherungsmakler informiert und die weiteren Schritte abgestimmt werden. Auch eine frühe Einbindung eines Rechtsbeistands nach Abstimmung mit dem Versicherer ist zur bestmöglichen Betreuung eines solchen Schadenfalls sinnvoll. Denn Fehler, die im frühen Stadium eines derartigen Schadenfalls begangen werden, sind später nur sehr schwer zu korrigieren. Die deas unterstützt und berät Sie hierbei stets in Ihrem Sinne.

Jörg Linnert