Wie das UKE die Mitarbeiterbindung revolutioniert
Können Sie das UKE kurz beschreiben?
Michael van Loo: Das UKE umfasst in 13 Zentren mehr als 78 interdisziplinär zusammenarbeitende Kliniken, Polikliniken und Institute. Insgesamt beschäftigen wir rund 18.000 Mitarbeitende aus unterschiedlichen Berufsgruppen, von denen momentan mehr als 15.000 aktiv im Dienst sind. Zurzeit bilden wir rund 1.000 Nachwuchskräfte aus und beschäftigen mehr als 5.000 Pflegekräfte und Therapeuten sowie 4.500 Ärzte und Wissenschaftler.
Was verbirgt sich hinter dem Label „UKE INside“?
Michael van Loo: Vor etwa 15 Jahren haben wir uns im UKE das Ziel gesetzt, nachhaltig der beste Arbeitgeber im Gesundheitswesen zu sein und immer einen Schritt vorauszudenken. Obwohl der Fachkräftemangel damals noch nicht so akut wie heute war, wollten wir frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um später nicht davon betroffen zu sein. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, neben den Patienten auch die Mitarbeitenden stärker in den Mittelpunkt zu stellen. So haben wir mit Unterstützung unseres Vorstands eine umfassende Personalpolitik-Strategie entwickelt, die über eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtung hinausgeht und den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden entspricht – seinerzeit als beschäftigtenorientierte Personalpolitik betitelt. Da der Titel etwas sperrig und die Strategie zunächst nur nach innen gerichtet war, labelten wir sie mit „UKE INside“. Obwohl wir die positive Entwicklung nicht aktiv nach außen kommuniziert haben, verbreitete sich unser guter Ruf als Arbeitgeber über Social Media und wir wurden innerhalb von nur drei Jahren als einer der besten Arbeitgeber anerkannt.
Unser System basiert auf dezentraler Organisation. Anstatt zentrale Stabsstellen zu schaffen, beziehen wir alle Mitarbeitenden ein. Dabei gliedert sich unsere Personalpolitik in drei Handlungsfelder: Führung und Qualifizierung, Gesundheit und Gesundheitsmanagement sowie Work-Life-Balance. Jeder Bereich wird von einer Arbeitsgruppe betreut, die aus dem Personalleiter, einem Vorstandsmitglied und weiteren Interessierten besteht. Diese Gruppen tagen mehrmals im Jahr, um unsere Position in diesen Bereichen zu evaluieren und weiterzuentwickeln.
Was für Maßnahmen haben Sie konkret ergriffen?
Michael van Loo: Zunächst haben wir gesammelt, was es schon gibt, und gebündelt unter UKE INside verortet und vermarktet wird. Hierzu zählen diverse Beratungsangebote, Check-ups, unser Betriebskindergarten und vieles mehr. Seither werden neue Ideen, die aus den Bedarfen unserer Mitarbeitenden resultieren, im Rahmen von gezielten Projektarbeiten bewertet und implementiert. Beispielsweise wurde die Kinderbetreuung um ein Programm ergänzt, das nahezu die kompletten Ferien abdeckt. Solche Angebote werden intern evaluiert und bei Bedarf angepasst oder eingestellt. Erfolgreiche Maßnahmen werden in unser Intranet aufgenommen, wo wir insgesamt etwa 300 Angebote bereitstellen, die von „A“ wie Akupunktur bis hin zu „Z“ wie Zusatzversorgung reichen.
Unser System basiert auf einem Top-Down-Bottom-Up-Prinzip. Das Management unterstützt die Maßnahmen und die Mitarbeitenden werden eingebunden. Jedes Jahr sind etwa 250 Mitarbeitende aktiv an diesem Prozess beteiligt. Viele Maßnahmen kosten nicht viel Geld, bringen aber großen Nutzen. Seit 2019 nutzen wir die Möglichkeiten des damaligen Pflegepersonalstärkungsgesetzes, um zusätzliche Mittel für Projekte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erhalten. Die Techniker Krankenkasse und die DAK unterstützen uns finanziell bei verschiedenen Projekten wie „Arbeiten 5.0“, das erst durch diese Förderung ermöglicht wurde.
Warum ist Ihrer Meinung nach vor 15 Jahren keiner Ihrer Mitbewerber auf das Thema aufgesprungen?
Michael van Loo: Auch wenn es nach wie vor Skeptiker gibt, bewundern inzwischen viele Mitbewerber, was wir erreicht haben. Dafür bedarf es in erster Linie eines Bekenntnisses des Managements, dass die Mitarbeitenden als wichtigsten Erfolgsfaktor erkennen und eine Kultur des Miteinanders und des „Gebens und Nehmens“ im ausgewogenen Verhältnis bieten muss. Dabei darf man nicht erwarten, dass sich jede Investition 1 zu 1 und möglichst direkt auszahlt. Häufig fehlt die Einsicht, dass gesteigerte Motivation, Identifikation oder eine niedrigere Fluktuation sich nicht unmittelbar im Ergebnis widerspiegeln, aber indirekt und nachhaltig zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Zunehmende Bewerberzahlen, aber auch zahlreiche Preise wie der Deutsche Personalmanagement-Preis und der Deutsche Gesundheits- und Demografiepreis bestärken uns auf diesem Weg.
Sie berichten auf dem Personalkongress zum „Arbeiten 5.0 am UKE“. Was sind aus Ihrer Sicht die Säulen des Arbeiten 5.0?
Ulrike Mühle: 2017 kam das Thema Flexibilisierung von Dienstzeiten auf, das in verschiedenen Workshop-Formaten und Arbeitsgruppen vertieft wurde. Wir wollten weg von dem starren Dreischichtsystem hin zu mitarbeiterorientierten Dienstzeiten. Da der Bedarf in der Pflege am größten war, sind wir nach zwei Jahren in die Konzeptionsarbeit gestartet. Unsere Ziele waren, Mitarbeitende zu binden und dadurch Dienstzeiten besser an Arbeitsprozesse anzupassen. Deshalb haben wir Tagesstrukturpläne erstellt und auf deren Basis Arbeitsspitzen analysiert, um die interprofessionellen Prozesse mit den neuen Dienstzeiten zu harmonisieren. Dadurch konnten wir beispielsweise häufiger eine gemeinsame Visite von Arzt und Pflege ermöglichen und somit die interprofessionelle Zusammenarbeit stärken.
In diesem Kontext haben wir auch verschiedene Dienstzeitmodelle aus dem Ausland angeschaut. Auf dieser Basis haben wir unser eigenes Konzept entwickelt, das unter anderem lange und kurze Dienste umfasst, um den individuellen Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden gerecht zu werden. Obwohl wir nach wie vor im Dreischichtsystem arbeiten, bieten wir auf den Stationen zusätzliche Dienstzeiten an. Wir haben auch ein Konzept für mobiles Arbeiten entwickelt, um Pflegenden mehr Freiraum zu bieten. Darüber hinaus haben wir ein Modell zu flexiblen Dienstzeiten (Gleitzeit-Modell) getestet, damit sie trotz ihres feststehenden Dienstplans kurzfristig auf persönliche Ereignisse reagieren können, indem sie früher oder später anfangen. Das Gesamtkonzept haben wir dann im Rahmen einer Pilotphase in drei verschiedenen Bereichen ausprobiert. Da es sich in der Praxis bewährt hat, rollen wir es seit 2022 über das komplette UKE aus.
Welche Wirkungen und Ergebnisse sehen Sie beim „Mitarbeitende finden“? Über welche Wege bekommt das UKE neue Fachkräfte?
Ulrike Mühle: Unser Projekt wird vom Hamburg Center for Health Economics umfassend evaluiert, das jährlich eine Mitarbeiterbefragung durchführt. Darüber hinaus liefert das UKE zusätzliche Daten unter anderem zu Bewerbungen, Kündigungen und Fluktuation. Erst nach der Evaluierung können wir valide Aussagen darüber treffen, ob wir durch das Projekt tatsächlich Personal gewonnen haben. Allerdings haben wir bereits positive Rückmeldungen von Mitarbeitenden und zudem Bewerbungen erhalten, die aufgrund des Projekts eingegangen sind. Obwohl wir noch keine genauen Zahlen haben, sind wir sicher, dass wir mit diesem Konzept genau unsere Zielgruppen erreichen. Die Daten eines internen Dashboards, das die Nutzung der neuen Dienstzeiten visualisiert, bestätigen diese Annahme.
Michael van Loo: Wir werden oft gefragt, ob sich das Projekt rechnet. Aber wir müssen weg von dieser Denkweise, da nicht alles messbar ist. Fakt ist, dass wir im vergangenen Jahr über 200 neue Pflegekräfte gewonnen haben – ein Rekord für uns. Obwohl wir nicht jeden neuen Mitarbeitenden explizit gefragt haben, ob er wegen „Arbeiten 5.0“ zu uns gekommen ist, spricht der Erfolg für sich.
Dabei spielt auch das Thema Mitarbeiterbindung eine wichtige Rolle…
Michael van Loo: Bei uns stand und steht die Bindung der Mitarbeitenden immer im Vordergrund – als wir gestartet sind, war das unser Kernthema. Schließlich wissen unsere Mitarbeitenden am besten, was sie benötigen. Die enge Bindung und die gelebte Unternehmenskultur strahlen mittlerweile auch nach außen, was unsere Anziehungskraft automatisch steigert und zur Gewinnung neuer Mitarbeitender führt.
Ulrike Mühle: Zum Thema Dienstzeiten: Studien zeigen, dass die Mitgestaltung des Dienstplans und der eigenen Arbeitszeit für Mitarbeitende von größter Bedeutung ist. Da der Dienstplan das Leben des Pflegepersonals bestimmt, verbessern zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten die Arbeitszufriedenheit maßgeblich.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Integration ausländischer Pflegekräfte?
Michael van Loo: Ich höre oft von Kollegen in Leitungsfunktionen, dass die Integration der neuen Generation, der Umgang mit der sogenannten Feminisierung in der Medizin oder die Integration von ausländischen Fachkräften in der Krankenhauslandschaft nahezu unmöglich scheint. Ich sehe es etwas gelassener. Wichtig ist, als Arbeitgeber eine nachhaltige, gute Unternehmenskultur zu schaffen, die die „echten“ Hürden der Integration, nämlich die in vielen Köpfen, derart minimiert, dass sich jeder Mitarbeitende, ungeachtet des Alters, des Geschlechts oder der Herkunft willkommen fühlt. Bei der Integration ausländischer Fachkräfte gibt es bürokratische Hürden, auch wenn man ihnen ehrlicherweise fachlich mindestens eine gleichwertige, wenn nicht sogar bessere Qualifikation attestieren muss.
Ulrike Mühle ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Nach ihrem Masterstudium kam sie 2010 zum UKE. Dort verantwortet sie den Aufbau und die Weiterentwicklung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements im Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie im zentralen OP-Management. Zudem leitet sie das Projekt „Arbeiten 5.0“.
Michael van Loo ist als Geschäftsbereichsleiter Personal im UKE-Konzern für die Personalverwaltung und -politik für mehr als 15.000 Mitarbeitende in 20 Tochter- und Enkeltochtergesellschaften verantwortlich. Darüber hinaus ist er Stellvertreter des i. S. Personalvorstand agierenden Vorstands, Mitglied des Gruppenausschusses Krankenhäuser und als Consultant für Personalmanagement aktiv.
© Bildnachweis: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)