Resilienz im Angesicht der Klimakatastrophe: Sven Plöger im Interview
Herr Plöger, wie gelingt es Ihnen, wissenschaftliche Themen und komplexe meteorologische Phänomene gut nachvollziehbar zu erklären?
Sven Plöger: Ich sehe mich als Übersetzer der Wissenschaft. Mein Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse in eine Sprache zu bringen, die jeder versteht – ohne dabei die wissenschaftliche Präzision zu verlieren. Ich bin kein Ideologe oder Missionar, sondern versuche, durch Unterhaltung eine Haltung zu vermitteln. Denn bei einem ernsten Thema wie dem Klimawandel ist es wichtig, nicht nur dystopische oder apokalyptische Szenarien zu zeichnen, sondern aufzuzeigen, dass wir noch Handlungsmöglichkeiten haben. Diese sollten wir als Chance erkennen und sie für unsere Zukunft und die unserer Kinder nutzen.
Inwiefern hat sich die Wettervorhersage in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Die Fortschritte in der Technologie und der Computermodellierung haben die Wettervorhersage revolutioniert. Früher waren genaue Vorhersagen nur für wenige Tage möglich, heute können wir recht zuverlässige Vorhersagen für bis zu zehn Tage machen. Außerdem hat die Verbesserung der Satelliten- und Radartechnologie unsere Fähigkeit, extreme Wetterereignisse frühzeitig zu erkennen, erheblich verbessert.
Welche aktuellen Ereignisse und Entwicklungen der vergangenen Jahre beeinflussen Ihrer Meinung nach die Wahrnehmung und den Umgang mit dem Klimawandel?
Die Vielzahl an Krisen, wie die US-amerikanische Wahl, Corona, Finanz- und Energiekrisen sowie der Krieg in Europa führen dazu, dass das Thema Klimawandel bei vielen Menschen in den Hintergrund gerückt ist. Das ist problematisch, weil die physikalischen Entwicklungen, die wir heute sehen, genau das bestätigen, was die Wissenschaft bereits vor 30 oder sogar 40 Jahren prognostiziert hat. Und die Energie, die wir in das System bringen, führt zu extremeren Wetterereignissen, was physikalisch nicht verwunderlich ist.
Was sind die genauen Ursachen für die Vielzahl an gefährlichen Wetterextremen?
Die Erwärmung der Ozeane ist für mich besonders besorgniserregend. Deren Deckschicht hat sich in den vergangenen zwei Jahren disruptiv erwärmt, was mich sehr besorgt. 71 Prozent der Erdoberfläche sind Wasser, und 90 Prozent der Energie, die wir durch unser Verhalten in das System bringen, wird im Ozean gespeichert. Je wärmer die Ozeane werden, desto weniger Puffer haben sie und desto mehr Energie setzen sie frei, was zu extremeren Wetterereignissen führt.
Immer mehr Menschen mit einem begrenzten Hintergrundwissen äußern via Social Media ihre Meinung und ihre Bedenken gegenüber nachhaltigem Denken und Handeln sowie dem Klimaschutz. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Kritik um?
Das ist in der Tat eine Herausforderung! Der Bildungsstand im Fach Physik ist in unserem Land – vorsichtig formuliert und wie man es in der Schweiz ausdrücken würde – „zu wenig gut“. Deshalb sind Klimaforschungsleugner oftmals mit dümmstmöglichen Beiträgen in der Lage, eine ganze Gesellschaft zu verunsichern. Das kann man mit „Unwissen ist Ohnmacht“ zusammenfassen, der herumgedrehten Version des berühmten Satzes von Sir Francis Bacon, der einst sagte „Wissen ist Macht“. Für mich ist es daher wichtig, immer wieder auf die Fakten zu verweisen und wissenschaftliche Erkenntnisse klar und verständlich zu kommunizieren.
Werden Sie regelmäßig von Veranstaltern und Unternehmen eingeladen, um als Keynote-Speaker über die Wetterextreme und deren Folgen zu sprechen und Ihren Zuhörern Tipps zum Thema Resilienz zu geben?
Ja, ich bekomme viele Anfragen von Unternehmen. Das freut mich, denn es ist eine Möglichkeit, um das Thema sachlich fundiert in die Firmen zu bringen. Besonders der Mittelstand und Familienunternehmen sind oft sehr interessiert und haben ein gutes Gespür dafür, was aktuell und oft schon seit mehreren Jahren in die falsche Richtung läuft. Sie versuchen, ihre Nachkommen zu sensibilisieren und Veränderungen anzustoßen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Wirtschaft in diesen Fragen weiter ist als die Politik.
Wie lassen sich die Menschen motivieren, positive Entwicklungen zu erkennen und bewusster wahrzunehmen?
Wir fokussieren uns oft zu sehr auf das Negative, insbesondere in der medialen Berichterstattung. Es ist wichtig, auch die Dinge zu betrachten, die erfolgreich funktionieren. Wir müssen unseren Blickwinkel ändern und uns auf begründeten Optimismus konzentrieren. Das bedeutet, die positiven Ansätze und Erfolge in den Vordergrund zu stellen und daraus Motivation für weitere Schritte zu ziehen. Der Schlüssel liegt darin, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen die Relevanz dieser Themen in ihrem eigenen Leben zu zeigen. Jeder hat unterschiedliche Lebenssituationen und Möglichkeiten zu handeln. Es geht darum, aufzuklären und zu sensibilisieren, ohne belehrend zu wirken. Wenn wir die Fakten klar und verständlich kommunizieren und gleichzeitig zeigen, dass jeder Einzelne einen Unterschied machen kann, können wir mehr Menschen dazu bewegen, aktiv zu werden.
Warum werden schlechte Nachrichten oft intensiver verfolgt als gute?
Das Phänomen „Bad news are good news“ liegt in unserer menschlichen Natur. Studien zeigen, dass Menschen fünf- bis zehnmal gelobt werden müssen, um eine Kritik zu verkraften. Wir haben einen riesigen Fokus auf das Negative und tun uns schwer, positive Nachrichten wahrzunehmen. Wenn in ihrer Straße etwas Tragisches passiert, sind alle hellhörig und wollen wissen, was los ist. Sagt jemand einen klugen Satz, interessiert das selten jemanden. Diesen Blickwinkel zu überwinden, ist eine Herausforderung, der ich mich in meinen Vorträgen stelle, indem ich auch Geschichten erzähle, die erfolgreich verlaufen.
Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders beeindruckend finden?
Ja, die gibt es. Mein australischer Freund Tony Rinaudo hat 2018 den „Right Livelihood Award“, manchmal auch „alternativer Nobelpreis“ genannt, gewonnen, nachdem er die Methode „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR) entwickelte. Tony entdeckte bei seinen Nachforschungen vor Ort, dass viele scheinbar abgestorbene Pflanzen noch Verbindung zum Grundwasser hatten. Das war die Basis für sein nachhaltiges, später ausgezeichnetes Konzept. Durch das Beschneiden konkurrierender Äste und ein Entwicklungshilfeprojekt konnte nach elf Jahren im betroffenen Gebiet ein neuer Wald entstehen. Die Böden kühlten ab, Wasserquellen entstanden, und die Menschen konnten wieder Landwirtschaft betreiben und ihre Lebenssituation verbessern. Das ist eine Erfolgsgeschichte, bei der eine „kleine nachhaltige Welt“ entstanden ist.
Wie können wir den Blickwinkel auf positive Entwicklungen verändern?
Es ist entscheidend, evolutionär Erlerntes hier und da zu überwinden. Wir sind so „programmiert“, dass wir uns vor allem auf Gefahren und Risiken fokussieren und nicht unbedingt auf die guten Dinge. Wer sich vor 10.000 Jahren etwa ausschließlich an den Beeren erfreute, die für ein ersprießliches Leben zur Verfügung standen und dabei den Säbelzahntiger übersah, hatte verloren. Beim Thema Klimaschutz und der deshalb notwendigen Transformation müssen wir nun lernen, vor allem positive Entwicklungen zu sehen und zu fördern. Das bedeutet, über erfolgreiche Projekte zu berichten und zu zeigen, dass jeder einen Beitrag leisten kann. Perfektion ist nicht nötig, jeder kleine Schritt zählt. Es gibt viele Maßnahmen, die wir ergreifen können, aber um die Ursache für unsere Klimakrise in den Griff zu bekommen, steht die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und damit der Ausbau erneuerbarer Energien und die Förderung nachhaltiger Lebensweisen im Mittelpunkt. Wir müssen auch in die Anpassung an die unvermeidlichen Auswirkungen des Klimawandels investieren, zum Beispiel durch den Bau von Infrastruktur, die extremen Wetterereignissen standhalten kann.
Was entgegnen Sie dem polarisierenden Argument, dass es nichts bringt, sich in Deutschland für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu engagieren, wenn große Länder wie China, Indien und die USA nicht mitmachen?
Dieses Argument ist verständlich, bringt aber niemandem etwas. Es mündet in die für nachfolgende Generationen unfaire und wenig hilfreiche Aussage: Wir machen nichts, weil die anderen nichts machen. Und dann? Wir emittieren zwar nur knapp zwei Prozent der Treibhausgase, sind damit aber auf Platz 7 von 195 Ländern, spricht 188 Länder sind besser als wir. Oder mit Blick auf China: Es gibt mehr Chinesen als Deutsche, genau 17-Mal so viele. Gäbe es so viele Deutsche wie Chinesen, müssten wir unsere Emissionen siebzehnfachen und hätten exakt denselben Ausstoß wie China! Würden wir nun die Produkte, die dort für uns gefertigt werden, nicht den Chinesen, sondern uns anlasten, dann wären wir sogar schlechter als das Reich der Mitte. Wenn wir nicht verstehen, dass eine globale Krise global angepackt werden muss, dann werden wir scheitern und müssten uns eingestehen, dass wir für die Lösung dieses selbstverursachten Problems nicht reif genug sind. Deswegen: Deutschland hat eine große Verantwortung und auch eine große Stellschraube, um Veränderungen zu bewirken.
Wie lässt sich die Dringlichkeit des Klimaschutzes besser vermitteln?
Es ist wichtig, die langfristigen Vorteile zu verstehen. Ökonomische Studien zeigen, dass jeder Euro, der nicht in den Klimaschutz investiert wird, später mit zwei bis elf Euro zurückgezahlt werden muss. Wir müssen erkennen, dass jetzige Investitionen notwendig sind, um zukünftige Kosten zu minimieren.
Wie können wir Begeisterung für Transformation und Veränderung wecken?
Wir müssen den Fokus auf die Chancen und Möglichkeiten legen und immer wieder beginnen, unsere Kraft auf positive Veränderungen zu richten. Deutschland war immer ein Land der Erfinder und Innovatoren. Wir müssen diese Tradition fortsetzen und Begeisterung für neue Ideen wecken. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern kontinuierlich kleine Schritte in die richtige Richtung zu gehen.
Was ist im Hinblick auf die Naturkatastrophen Ihre Botschaft an die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft?
Wir müssen die Realität akzeptieren und entsprechend handeln. Die physikalischen Gesetze ändern sich nicht, egal wie sehr wir uns eine andere Welt wünschen. Die Realität wird immer gegen unsere Wünsche gewinnen. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Das erfordert Haltung, Sachverstand und die Bereitschaft, notwendige Veränderungen anzugehen.
Grönland-Reportage „Die Ströme der Arktis“
Im zweiten Teil der ARD-Reihe „Die Ströme der Arktis“, der genaue Sendetermin für 2025 wird noch bekannt gegeben, führt die Reise mit dem Meteorologen Sven Plöger und einem Team der Gruppe 5 Filmproduktion nach Grönland. Wie verändert der Klimawandel die Arktis? Welchen Einfluss wird das auf das Wetter in Mitteleuropa haben? Sven Plöger erklärt gerne, wie „emotional und beeindruckend“ seine Reportage-Reise für ihn war. Besonders das Erlebnis, als er auf dem Grönland-Eisschild stand. „Hier habe ich Schönheit, Gewalt und Größe der Natur gleichzeitig gesehen. Und leider auch gespürt, wie sehr sich die Eisschmelze beschleunigt. Der Eisschwund ist jetzt fünfmal so schnell wie noch in den 1980er Jahren“, bedauert der 57-jährige Wetter- und Klimaexperte. Er besuchte einen entlegenen Gletscher, an dem eine einzigartige Messreihe unternommen wird. Sven Plöger: „Die massive Klimaänderung hat auch Auswirkungen auf die Bevölkerung Grönlands. Die Grönländer leben vom Fischfang und der Jagd.“ Eine geschossene Robbe verblieb früher an der Meeresoberfläche und konnte somit einfach an Land geholt werden. Heute, durch die Eisschmelze und den daher geringeren Salzgehalt des Meeres, sinkt sie ab. Das Jagen wird so deutlich erschwert. Der Experte betont, dass „der Robbenfang für die knapp 60.000 Grönländer überlebenswichtig ist und in erster Linie der eigenen Ernährung dient. Die wenigen betroffenen Tiere haben vor ihrem Abschuss ein freies Leben, anders als viele Nutztiere vor ihrer Schlachtung bei uns.“ Sven Plöger und das Filmproduktionsteam waren auch auf den historischen Spuren des Polarforschers Alfred Wegener und dessen meteorologischen Messungen in Grönland unterwegs.
Der Diplom-Meteorologe spricht vor der Kamera über die wissenschaftlichen Herausforderungen, die Veränderungen im Eis zu messen und die Auswirkungen auf die atmosphärische Zirkulation, um den Gesamtzusammenhang verständlicher zu machen. Die Dokumentation befasst sich auch mit der Rolle der Natur, beispielsweise wie Algen in der Kälte CO2 aufnehmen können. Ein weiteres Thema ist die Herkunft des Eisbergs, der die Titanic versenkte, und die damit verbundenen historischen und klimatischen Zusammenhänge.
Sven Plöger trotzt Orkanböen und paddelt im Kajak um haushohe Eisberge, die von der Strömung auf den Atlantik getrieben werden. Grönland, die größte Insel der Welt, ist zu mehr als 80 Prozent von Eis bedeckt. Der weiße Panzer wirft den Großteil der Sonnenstrahlung ins All zurück, er ist ein Hitze-Schutzschild für den Planeten. Jetzt aber schmilzt er: eine Entwicklung, die sich auch auf globale Meeres- und Luftströme auswirkt. Gemeinsam mit Forschenden, die über Jahre den Rückgang des Eises verfolgen, führt Sven Plöger den TV-Zuschauern auf seinen Reisen vor Augen, wie unsere eigene Zukunft mit der des Polarmeers verbunden ist. Er betont, dass die Wissenschaft ein fortlaufender Prozess ist, bei dem ständig neue Erkenntnisse gewonnen werden. Weitere Infos auf: meteo-ploeger.de
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